Donnerstag, 14. Januar 2010

"Verhandlungsfreie Wochen"

Die Welle der "Großverfahren" hat in den letzten Wochen die Misere um die chronisch überlasteten Gerichte medial ins Bewusstsein größerer Bevölkerungsschichten gespült.
Dass die Personalausstattung der Justiz - euphemistisch ausgedrückt - unzureichend ist, ist jedoch ein Dauerthema der letzten Jahre.

Offenbar ist es nur möglich, Aufmerksamkeit, Beachtung und Planstellen über die Strafgerichtsbarkeit zu bekommen. Die volkswirtschaftlich und quantitativ wesentlich bedeutsamere Zivilgerichtsbarkeit geht dabei unter. Es ist zwar schön, dass nun 33 Staatsanwaltschafts- und zwei Richterplanstellen medienwirksam für die Bearbeitung der den Volkszorn auf sich ziehenden (vermuteten) Straftaten zur Verfügung gestellt werden, doch löst dies nicht das schwelende Problem, dass sich Österreich langsam eines funktionierenden Justizapparates begibt.

Wie die aktuelle Personalanforderungsrechnung zeigt, fehlt es an allen Ecken und Enden: Richterinnen und Richter sind objektiv überlastet, Schreibkräfte und Kanzleipersonal fehlen. Dadurch setzt ein sich beschleunigender Trend zu langen und weniger gründlich geführten Prozessen ein.

Die Weigerung der Bundesregierung (und der Legislative - soviel zur österreichischen Realverfassung) zur Planstellenaufstockung hat nun die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes dazu veranlasst, "verhandlungsfreie Wochen" zur "Aufarbeitung und Vermeidung von Rückständen" auszurufen. Die Absicht ist gut, das Anliegen berechtigt, die Begründung aber nicht weniger fadenscheinig und verlogen als die ständigen Beteuerungen aller Minister, trotz Beschränkung der Ressourcen und Kapazitäten, werde der Rechtsschutz gleich bleiben, ja sogar besser, Verfahren würden nicht länger und zusätzliche Aufgaben (wie zuletzt durch das Gesetz zu eingetragenen Partnerschaften, bei dem die Belastung der Gerichte in der Regierungsvorlage gleich unter den Tisch gefallen lassen wurde) könnten auch noch übernommen werden.

Dadurch dass nicht verhandelt wird, sollen "Rückstände aufgearbeitet und vermieden werden". Wie soll das bitte gehen? Entweder es gibt "Rückstände" (gemeint wohl bei Urteilsausfertigungen), dann werden diese in der verhandlungsfreien Woche erledigt und die durchschnittliche Verfahrensdauer bleibt gleich. Gibt es keine (Urteils-)Rückstände, dann passiert einfach nichts (außer dass sich der Burnout um eine Woche hinauszögert).

Doch wen wundert diese verquere Logik, wenn es auch Politiker nicht schaffen, das über die Lippen zu bringen, was auf der Hand liegt: Österreich kann sich eine Justiz, die rasch und qualitativ hochwertig arbeitet, nicht mehr leisten. Anstelle aber diese Wahrheit zu beherzigen und geordnet dort echte Einsparungen (nämlich bei den erbrachten Leistungen) wo es sinnvoll ist zu ermöglichen, wird ein langsames Siechtum der dritten Staatsgewalt in Kauf genommen und werden unpopuläre aber notwendige Maßnahmen hinausgeschoben. Die Politiker stehlen sich aus der Verantwortung, indem sie auf die vermeintlich "faulen Richter" zeigen und riskieren damit nur noch größeren Schaden.

Wie soll man da von den Gremien der Richtervereinigung und Gewerkschaft verlangen, das Kind beim Namen zu nennen: Wir wissen uns und diesem Land nicht mehr anders zu helfen, als durch diese unlogische und sinnleere Maßnahme (die bei näherer Betrachtung bloß darauf hinausläuft, offene Urteile rascher und gründlicher zu erledigen und dabei die durchschnittliche Verfahrensdauer unverändert lässt) auf die Not in der wir und es sich befinden, aufmerksam zu machen.

Dabei wäre es so einfach. Es bedarf keiner Drohgebärden, keines Lamentierens sondern nur der nüchternen Feststellung, dass Verfahren immer länger dauern werden, Gläubiger immer länger auf ihr Geld warten werden müssen, Pflegschaftsverfahren vor dem Ende der Volljährigkeit nur mehr in Ausnahmefällen beendet werden können, die Durchsetzung des Rechts teurer, unzuverlässiger und unsicherer werden wird. Genau das ist nämlich die Folge eines weiteren "Sparens" durch Verringerung der Ressourcen.

Wie jeder Koch und jede Köchin weiß, spart man nämlich nicht, indem man die Erdäpfel kürzer kocht, sondern indem man weniger Erdäpfel kocht - sonst wird das Gericht ungenießbar.

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für den Inhalt verantwortlich:

Michael Kadlicz

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