Dienstag, 19. April 2005

Aktenkenntnis, aber Voreingenommenheit

Interessanter Artikel in den Salzburger Nachrichten, der die Erfahrungen in der Praxis völlig richtig wiedergibt.

Strafrichter kennen die Akten meist sehr gut, sind dafür aber eher geneigt, die Erhebungsergebnisse für wahr zu halten (und zu verurteilen). In einem Versuch (in D) hat sich auch ganz klar erwiesen, dass es ohne Aktenkenntnis zu weniger Verurteilungen kommen würde.

Seit einiger Zeit gibt es in Österreich die Vereinigung Österreichischer StrafverteidigerInnen, die versucht auf solche Probleme hinzuweisen und sie mittelfristig zu beseitigen.

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rafranke - 19. Apr, 09:51

Aktenkenntnis

In Deutschland sind zumindest die Laienrichter (Schöffen) ein gewisses Regulativ, denn sie dürfen die Akten nicht lesen. Angesichts der Amtsermittlungspflicht des Gerichts ist nach der Strafprozessordnung Aktenkenntnis unbedingt nötig. Dies ändert nichts daran, Richter angesichts der Erkenntnisse zu sensibilisieren. Formal dürfen sie in D ja ohnehin nur aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung schöpfen. Was aus den Akten nicht in die Hauptverhandlung eingebracht wurde, darf nicht verwertet werden. So manches Mal bringen Richter auch Entlastendes, das die objektivste Behörde der Welt nicht gesehen hat (oder manchmal gar nicht sehen wollte), auf Grund ihrer Aktenkenntnis in die Hauptverhandlung ein.
Gruß aus Berlin-Lichtenrade - Rolf Jürgen Franke

m.kadlicz - 19. Apr, 10:29

Völlig richtig

ohne Aktenkenntnis wäre das Verfahren natürlich oft praktisch unmöglich.
Dass die Schöffen ein Regulativ darstellen entspricht allerdings nicht ganz meinen Erfahrungen. Nur in ganz seltenen Fällen sind die Laienrichter motiviert genug, um überhaupt auch psychisch an der Verhandlung teilzunehmen. Meist lassen sie sich von der Meinung der beiden Berufsrichter tragen. Das ist auch gar kein Vorwurf, man muss ja auch ganz realistisch sehen, dass Laien oft mit der Komplexität der Sache (oder den dahinterstehenden rechtl Fragen) überfordert sind. Natürlich lehnt man sich da gerne an einen Profi an.
Vielleicht ist aber in D auch die Bereitschaft mit der Aufgabe als Schöffe intensiver auseinanderzusetzen größer (das würde ich für nicht unwahrscheinlich halten).

Natürlich darf man in Ö formal auch nur das verwerten, was in der HV vorgekommen ist. Aber typischerweise werden am Ende der Beweisaufnahme alle wesentlichen Aktenteile "verlesen", sodass letztlich aus "dem Vollen" geschöpft werden kann, was vorallem Rechtsmittel oft schwierig macht.

Man darf auch nicht verallgemeinern. Ich kenne auch Richter, die sehr wohl versuchen sich innerlich so weit als möglich vom Akt zu trennen, aber da es sich wohl teilweise um unbewußte Vorgänge handelt, ist das eben nicht ganz so einfach.

Sensibilisieren ist das Wort, wie Sie richtig sagen !


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