Soweit sind wir gottlob bei weitem (noch?) nicht.
Aber dieser Begriff aus der grässlichsten Epoche unserer jüngeren Geschichte taucht in der Diskussion um jene Fragen immer wieder auf, die der OGH in zwei aktuellen Judikaten zu entscheiden hatte.
Und die Begriffe „wrongful birth“ und „wrongful life“, unter denen die aktuelle juristische Diskussion zu diesen Fragen geführt wird, klingen auch nicht wirklich beruhigender.
(Nebenbei: Man fragt sich, warum diese Anglizismen durchgehend auch in der deutschsprachigen Diskussion dieses Themas verwendet werden; vielleicht auch in der Hoffnung, dann verstehen nicht alle, was diese Begriffe sagen?)
Entscheidungen des OGH schaffen es ja meist nur dann aus den juristischen Fachbeiträgen heraus in die allgemeine Medienwelt, wenn es um Prominente oder um sehr viel Geld geht.
Und drittens dann, wenn es um Themen geht, die von Grundfragen der Gesellschaft und des menschlichen Lebens handeln.
So auch hier:
Der OGH hatte zwei Fälle zu entscheiden, in denen der Unterhalt für ein Kind als Schadenersatz von einem Dritten gefordert wurde.
Um das Nachfolgende verständlich zu machen, sei der jeweilige Sachverhalt hier kurz (und natürlich zusammengefasst) referiert:
5 Ob 165/05h : Ein Ehepaar entschloss sich, ein Kind zu bekommen. Die Frau wurde schwanger. Im Rahmen der pränatalen Untersuchungen entdeckt der Arzt im Ultraschall eine Anomalie, die eine Behinderung indiziert. Die Frau wird zur Kontrolle in die Spitalsambulanz geschickt und dabei - wie der OGH dann entscheidet - nicht ausführlich genug aufgeklärt. Die Frau lässt die Kontrollen in der Ambulanz nicht durchführen. Das Kind kommt mit einer Behinderung zur Welt.
6 Ob 101/06f : Ein Paar möchte keine Kinder mehr. Der Mann lässt sich sterilisieren. Dennoch wird die Partnerin schwanger. Ein gesundes Kind wird geboren.
Im ersten Fall hat der OGH entschieden, dass der Arzt den Eltern den gesamten Unterhaltsaufwand für das Kind zu ersetzen hat,
Im zweiten Fall bekommen die Eltern nichts.
Die erste Entscheidung scheint mir in einigen Punkten äußerst diskussionswürdig und ich halte sie im Ergebnis für verfehlt.
In einer Zusammenschau mit der zweiten entsteht ein geradezu fataler Eindruck zur Frage des Wertes behinderten Lebens in der österreichischen Rechtsprechung.
Doch im Einzelnen:
Der OGH hat in seiner Entscheidung
1 Ob 91/99k erstmals entschieden, dass den Eltern der Ersatz der Mehraufwendungen für den Kindesunterhalt zusteht, wenn der Arzt die Eltern aufgrund eines Diagnose- oder Beratungsfehlers nicht über eine bestehende oder zu befürchtende Behinderung aufgekärt hat, und feststeht, dass die Eltern eine Abtreibung hätten vornehmen lassen, wenn sie aufgeklärt worden wären.
In der vorliegenden Entscheidung geht der OGH aber einen bedeutenden Schritt weiter: Er spricht (grundsätzlich, weil noch ein Mitverschulden der Mutter zu klären ist) den gesamten Unterhalt als ersatzfähigen Schaden zu.
Die Einwände dagegen, die Geburt eines Kindes und den daraus entstehenden Unterhaltsbedarf überhaupt als Schaden iS der Schadenersatzrechtes zu begreifen, tut der OGH mit dem Argument ab, die Kritik argumentiere „nicht rechtsdogmatisch, sondern rechtsethisch“.
Diese Formulierung verstört: Einerseits ist gerichtlichen Entscheidungen der Rückgriff auf (letztlich) ethische Kategorien alles andere als fremd: Oft wird aus „Billigkeit“ oder aus „Gerechtigkeitserwägungen“ entschieden oder es werden „Schutzwürdigkeiten“ und „Wertungen“ abgewogen und das Verhalten an der „rechtstreuen Maßfigur“ oder dem „mit den rechtlich geschützten Werten vebundenen Menschen“ gemessen.
Andererseits kann das Recht wohl nicht von ethischen Erwägungen frei bleiben – insbesondere in solchen Grenzfragen - , ohne seinen Anspruch aufzugeben, an der Gerchtigkeit orientiert zu sein. Ansonsten könnte das Recht jeden beliebigen Inhalt haben und das wäre in Wahrheit das Endes des Rechts.
Warum im Unterschied zur Leitentscheidung hier der gesamte Unterhalt zugesprochen wird, wird ebenfalls nur sehr lapidar begründet: Der OGH folge – ohne hier eigene Argumente darzustellen oder die übernommenen zu referieren – Rebhan und dem BGH.
Eine so wesentliche Frage hätte sich schon eine eingehendere Begründung verdient.
In der zweiten Entscheidung wird das Klagebgehren mit der – mE zutreffenden – Begründung abgewiesen, dass die „Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinne“ bedeute. Dies wird auch sorgfältig und eingehend unter Darstellung des Meinungsstandes begründet.
Das – für mich – Erschreckende dieser Judikate ergibt sich erst in der Zusammenschau:
Die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes, ist kein Schaden im Rechtssinn, die Geburt eines an sich erwünschten, dann aber tragischerweise behinderten Kindes wird als Schaden qualifiziert, der zum Ersatz des gesamten Unterhaltsbedarfes führt.
Dem 6. Senat ist zwar hoch anzurechnen, dass er die Gefahr dieses Eindrucks wohl erkannt hat und ihr in einem eigenen Absatz der Entscheidung (7.5.) zu begegnen versucht.
ME gelingt dies aber schon in der Entscheidung nicht wirklich und in der verkürzten medialen und gesellschaftlichen Wahrnehmung erst recht nicht.
Außerdem bleibt jedenfalls ein merkwürdiger Wertungswiderspruch bestehen:
Im ersten Fall wollten die Eltern ein Kind. Sie haben sich also entschlossen, die Belastungen durch die Unterhaltspflichten anzunehmen. Sie hätten also Unterhaltsleistungen nach der Geburt ihres Kindes jedenfalls zu tragen gehabt.
In dem Moment, wo das Kind behindert zur Welt kommt, ist aber plötzlich der gesamte Unterhalt ein Schaden im Rechtssinne. Man fragt sich, warum und hofft gleichzeitig, dass nicht der Gedanke dahinter liegt, dass, wenn die Geburt dieses behinderten Kindes schon nicht durch die Abtreibung verhindert werden konnte, die Eltern ihren Wunsch nach einem gesunden Kind zumindest finanziell unbelastet verwirklichen können.
Im zweiten Fall wollten die Eltern kein weiteres Kind mehr. Sie wollten sich daher auch keinen Unterhaltspflichten mehr aussetzen. Der Unterhalt für ihr gesundes Kind ist aber kein Schaden, obwohl dieses Kind bei korrektem ärztlichen Verhalten nicht gezeugt worden wäre.
Die Unterscheidung scheint also nur an der Frage „behindert – gesund“ zu hängen. Ein fatales Signal an die Gesellschaft!
Nur, um das klarzustellen:
Ich halte die zweite Entscheidung für zutreffend.
Gleichzeitig halte ich es für mehr als gerechtfertigt die Eltern des Kindes im ersten Fall finanziell zu unterstützen. Ich glaube nur, dass dies – durchaus mit einem Rechtsanspruch versehen und nicht als gnadenhafte Zuwendung – im Rahmen der solidarischen Lastenverteilung in unserer Gesellschaft erfolgen sollte und nicht mit den Mitteln des Schadenersatzrechtes, nach den Regeln, nach denen etwa zerbrochene Brillen und beschädigte Autos ersetzt werden.
Und eines darf man bei diesem Fragenkomplex auch nicht vergessen, worauf
Ingmar zurecht hinweist: Wer “Vertragshaftung” sagt, muss eine “Schadensminimierungsobliegenheit” zumindest thematisieren.
Und wenn man zu Ende denkt, worin eine Schadensminimierung in solchen Fällen nur bestehen kann, landet man erschreckt schon gefährlich nahe beim Titel dieses Beitrags.